Im Rahmen des „Design Districts“ bildet die Österreichischen Nationalbibliothek von 5. bis 7. Oktober eine elegante Bühne für das Handwerk. Unter den Ausstellern sind natürlich mehrere Partnerbetriebe der MEISTERSTRASSE – wie etwa der Schuhmacher Gerhard Wieser, der uns aus diesem Anlass in seiner Werkstatt in Wien-Währing einen Einblick in seine Arbeits- und Gedankenwelt erlaubt.
Interview: Hannes Kropik
Fotos: Johannes Kernmayer, Christian Schörg
Herr Wieser, wenn man Ihr Geschäft, das gleichzeitig eine Werkstatt ist, betritt, wird man von einem ganz speziellen Geruch, einer Mischung aus Leim und Leder, begrüßt. Und vom satten Klang des Hammers, der auf Leder klopft …
So große Vorteile das Internet haben mag: Solch sinnliche Eindrücke kannst du auf einer Homepage niemals vermitteln. Deshalb präsentiere ich mich so gerne auf Messen oder Ausstellungen wie jetzt bei der „Design District“, weil die Menschen erleben müssen, wie ich meine Schuhe herstelle. Früher war so ein Handwerker am Eck ja alltäglich. Heute wissen viele Menschen gar nicht mehr, dass es Schuhmacher oder Schneider überhaupt noch gibt. Wenn du heute Kinder fragst, was ein Schuhmacher eigentlich macht, bekommst du oft nur ratlose Gesichter zu sehen.
Sie sind jetzt seit fünf Jahren an diesem Standort an der Grenze vom 18. zum 19. Wiener Gemeindebezirk. Wie wichtig ist für Sie diese regionale Verankerung?
Hier war zuvor bereits 30 Jahre lang ein Orthopädie-Schuhmacher angesiedelt. Als er in Pension gegangen ist, habe ich seinen Betrieb übernommen. Meine Kunden finden es gut, dass es in ihrer Umgebung jemanden gibt, der tatsächlich selbst noch Schuhe herstellen und auch fachgerecht reparieren kann. Der Großteil meiner Kunden weiß meine Arbeit wirklich zu schätzen. Aber es gibt auch Menschen, die gar keine Vorstellung mehr davon haben, was es bedeutet, im wahrsten Sinn des Wortes mit den Händen zu arbeiten.
Handgearbeitete Schuhe haben natürlich ihren Preis. Wie können Sie gegen das vielfältige Angebot von internationalen Ketten bestehen?
Wir sprechen ja ganz unterschiedliche Zielgruppen an. Wenn du heute ein Handwerk betreibst, dann brauchst du eine gewisse Anzahl an Kunden. Ich kann pro Woche etwa vier bis fünf Paar Schuh herstellen, das macht im Jahr etwa 200 Paar. Würde ich es in einer Stadt wie Wien mit ihren zwei Millionen Einwohnern nicht schaffen, diese 200 Paar zu verkaufen, dann würde ich etwas falsch machen.
Reicht der lokale Charme des Handwerks, um so ein Geschäft zu führen oder müssen auch Sie international vernetzt denken und handeln?
In den vergangenen zwei, drei Jahrzehnten hat sich das Handwerk in Österreich massiv gewandelt, die meisten produzierenden Betriebe sind zuerst in den Osten und dann in den noch günstigeren asiatischen Raum abgesiedelt. Deshalb wurde die Lieferkette nachhaltig zerstört. Ich habe mir ein Netzwerk in Italien aufgebaut, wo der Zugang zum Material noch wesentlich einfacher ist. Aber: Die Mengen, die ich in zehn Jahren benötige, stellen die großen Firmen in drei Stunden her. Für die bin ich als Kunde eigentlich uninteressant. Aber ich habe ein paar Jahre in Italien gelebt und gearbeitet und spreche deshalb ganz passabel italienisch. Das hilft mir sehr, wenn ich mich mit Kollegen austausche und deshalb immer wieder erfahre, wo ich nicht nur Restbestände an Leder kaufen kann, sondern zum Beispiel auch die Fäden, die ich zum Nähen brauche. Die kriegst du bei uns einfach nicht mehr.
Was macht einen guten Schuhmacher aus?
Man benötigt ein gutes Augenmaß und ein gute dreidimensionale Vorstellungskraft, handwerkliches Geschick, nonaned, und, ganz wichtig: Demut und Geduld.
Demut wovor?
Du musst akzeptieren, dass du nicht alles von heute auf morgen erlernen kannst. Es dauert Jahre, bis du gewisse Abläufe automatisiert hast. Ich lerne heute noch täglich dazu. Würde ich immer nur an den gleichen fünf Modellen arbeiten, wäre es vermutlich einfacher, aber ich mache ja für jeden Kunden eine Einzelanfertigung. In anderen Berufen wird es ähnlich sein, aber wir haben eine spezielle Herausforderung: Jeder Fuß ist anders und damit muss jeder Schuh anders sein. Das stellt mich manchmal vor wirklich spannende Herausforderungen …
Ist es das, was Sie an Ihrem Beruf so fasziniert?
Mein Vater war Schuhmacher, mein Großvater war Schuhmacher. Als sich die Frage gestellt hat, was ich mich meinem Leben anstellen möchte, ist mir die Entscheidung nicht schwer gefallen. Und ich bereue Sie bis heute nicht. Jeder Tag in der Werkstatt ist anders und wenn ich am Abend nach Hause gehe, weiß ich, was ich alles geschafft und geschaffen habe.
Wie kreativ ist der Beruf des Schuhmachers?
Ich kann mich und meine Ideen im Design verwirklichen. Und das Beste dabei ist: Ich bekomme von meinen Kunden ein sehr ehrliches, direktes Feedback. Dass man nicht alle Kundenwünsche zufriedenstellend erfüllen kann, ist klar.

Wie wichtig ist die Phantasie für einen Handwerker?
Der Kunde erwartet Lösungen von mir. Manche kommen mit einer Designvorstellung, andere mit einem Problem, zum Beispiel, weil sie in herkömmlichen Schuhen Schmerzen haben. Am Schwierigsten ist es allerdings, wenn ein Kunde gar keine Vorstellungen hat. Dann ist immer meine Phantasie gefragt, die nicht nur den Wünschen der Kunden, sondern auch meinen eigenen Anspruch erfüllen soll: Schuhe, die ich mache, müssen mir auch selbst gefallen.
Wie viel Arbeit steckt tatsächlich in einem Maßschuh?
Es sind sehr viele Handgriffe – wie viele genau, weiß ich allerdings selbst nicht. Das hängt auch vom jeweiligen Schuh ab. Aber bis ein Paar fertig ist, investiere ich rund 25 Arbeitsstunden. Ich habe an einzelnen Modellen auch schon 60 Stunden gearbeitet, aber solche Schuhe sind dann schwerer verkaufbar.
Welchen Stellenwert hat das Handwerk Ihrer Meinung nach in der heutigen Gesellschaft?
Handwerk hat definitiv einen sehr guten Stellenwert. Aber du musst dich als Handwerker auch dementsprechend präsentieren. Ich glaube nicht, dass es reicht, in einer finsteren Werkstatt alleine vor sich hin zu werken. Wichtig ist außerdem, dass du individuell bleibst. Alleine, wenn ich mir anschaue, wer sich aller auf der MEISTERSTRASSE befindet: Jeder Handwerker ist einzigartig, jeder bietet etwas anderes an. Und du musst deine Leidenschaft für das Produkt glaubwürdig nach außen transportieren. Was heute keinesfalls funktionieren würde, wäre ohne Leidenschaft zu arbeiten. Wenn du es nur machst, um schnelles Geld zu verdienen, wird das nicht funktionieren. Ginge es mir nur ums Geld, wäre es am g’scheitesten, den ganzen Tag nichts anderes zu tun als Schuhe zu reparieren.
Wie unterscheidet sich Handwerk heute von jenem vor 30, 40 Jahren?
Wenn du heute als Handwerker erfolgreich sein willst, musst du flexibler sein als früher. Und du musst dein Handwerk mit zeitgemäßem Design verbinden. Ein wesentlicher Unterschied ist: Die Vorstellungskraft der Kunden wird immer schwächer. Das liegt, wie eingangs schon erwähnt, daran, dass der Kontakt zu Handwerkern immer seltener geworden ist und viele Menschen gar nicht wissen, was ein Handwerker tatsächlich für sie tun könnte. Das ist die ganz große Herausforderung unserer Zeit: Ich muss dem Kunden vermitteln, was ich alles kann, damit er sich überlegen kann, was er wirklich von mir will. Der Kunde muss wieder eine Phantasie entwickeln, was er sich von mir und meiner Arbeit erwarten darf.
Sie sind jetzt Mitte 40 und haben bis zum gesetzlichen Pensionsantrittsalter noch gute 20 Berufsjahre vor sich. Wie blicken Sie Ihrer beruflichen Zukunft entgegen?
Wer weiß, wie die Welt in 20 Jahren ausschaut. Aber ich habe keine Zukunftsängste. Im Gegenteil, ich habe eher Angst, dass ich nicht weiß, wie ich all die Aufträge abarbeiten kann. Es ist ein beruhigendes Gefühl zu wissen, immer mindestens für ein halbes Jahr Arbeit am Tisch zu haben. Und was die weitere Zukunft angeht: Ich bin flexibel. Ich weiß, wo ich hin will, aber ich kenne die Wege nicht. Ich weiß, dass ich mich immer wieder an neue Begebenheiten anpassen muss. Für mich ist dieses Geschäft auch eine Art Pensionsversicherung. Ich werde aber bis zum Schluss Schuhmacher bleiben – ich wüsste nicht, was ich sonst machen sollte. Ich kann mir keinen anderen Beruf für mich vorstellen. Aber was mich reizen würde, wäre noch einmal nach Italien zurückzukehren.
Der Niederösterreicher Gerhard Wieser, 44, produziert in seiner Werkstatt in Wien nicht nur trendige Maßschuhe für Damen und Herren, sondern daneben auch noch passende Ledergürtel. Bevor der Schuhmachermeister in dritter Generation seinen eigenen Betrieb eröffnete, lebte er von 2005 bis 2012 im Veneto (Italien), wo er für Fischer Ski die Skischuh-Division aufbaute und leitete. „Damals“, sagt er heute, „ist es um deutlich höhere Budgets gegangen. Was aber in der Industrie wie im Handwerk gleich ist, ist die Innovation als Triebkraft.“
Weitere Infos:
www.wieser-shoe-design.at
www.meisterstrasse.at/wieser-shoe-design