Als Manager in der Mobilfunkbranche hat Alexander Stein wertvolle Lebenserfahrungen gesammelt. Heute produziert der Stuttgarter mit Monkey 47 eine der besten und begehrtesten Gin-Sorten der Welt. Im ausführlichen Interview mit der MEISTERSTRASSE spricht er über seine brennende Leidenschaft, Gegenpositionen zur modernen Effekthascherei und den Luxus, Nein sagen zu können.
Interview: Hannes Kropik
Herr Stein, wie viel Handwerk steckt tatsächlich in der Produktion Ihres Gins?
Bei uns geht es um die Harmonie von 47 verschiedenen Zutaten und dabei ist Handwerk ebenso gefragt wie sensorisches Gespür. In der Entwicklungsphase war letzteres wichtiger, im Alltag ist es die Handarbeit. Wir verzichten bewusst auf Schritte, in denen Maschinen zum Einsatz kommen könnten, aber das ist es, was letztendlich den Geschmacksunterschied ausmacht.
Warum überhaupt Gin?
Weil es bei Gin – anders als bei Rum, Whiskey oder Wodka – per Definition der europäischen Gesetzgebung erlaubt ist, neben dem vorherrschenden Wacholdergeschmack unterschiedliche Kräuter, sogenannte Botanicals, zuzusetzen. Das macht es sehr spannend, denn man kann sich sensorisch vielfältig ausdrücken. Letztendlich geht es aber immer nur um die Frage: Schmeckt es oder schmeckt es nicht?
Was unterscheidet Monkey 47 von anderen Gin-Sorten?
Es sind die vielen kleinen Arbeitsschritte, die in Summe etwas Besonderes ergeben. Was ich dabei für sehr wichtig halte: Es ist kein industriell gefertigtes Produkt, das nach Marktvorgaben und Wachstumsprognosen erstellt wurde. Unser Gin wurde ganz ohne Zwänge entwickelt.
Was war bei Ihnen der ausschlaggebende Punkt zu sagen: „Jetzt ist es gut. Diese 47 Zutaten, in dieser Form, die sind es!“
Auf diesen Moment warte ich noch. Die Rezeptur ist gut, keine Frage. Aber ich bin nie zufrieden und deshalb befinden wir uns eigentlich immer noch im Entwicklungsstadium. Das Rezept hat sich aber nicht verändert, seit das Produkt in den Handel gekommen ist. Trotzdem arbeitet der Kopf natürlich unablässig weiter und sucht nach Verbesserungen. Das macht man einfach so, wenn man ein Getriebener ist und für seine Sache brennt.
Sie stellen in Ihrer Destillerie im Schwarzwald relativ kleine Mengen her und sind nur in ausgesuchten Geschäften gelistet. Gab es auch Überlegungen, einen Gin zu produzieren, der sich günstig in den Supermärkten verkaufen lässt?
Ich glaube schon, dass ich von dem Gedanken getrieben bin, etwas besonders Gutes zu machen. Und zwar für mich persönlich. Ich möchte niemandem etwas beweisen. Aber ich habe hohe Ansprüche an mich selbst und muss mich mit meinem Produkt identifizieren können. Mir ging es aber nie darum, möglichst große Stückzahlen in Supermärkten zu verkaufen. Unser Gin ist keine Massenware.
Es gibt für Monkey 47 spezielle Trinkbecher aus Steinzeug. Erzählen Sie uns bitte, welche Idee hinter diesen handwerklichen Meisterstücken steht.
Diese Becher hat Mark Braun, ein Designer aus Berlin, entworfen. Mich haben davor immer wieder Menschen darauf angesprochen, dass ich eigene Gin-Gläser produzieren müsse, aber das wollte ich nicht. Ich habe lange darüber nachgedacht und dann ist mir eingefallen, dass man ja früher das Bier aus Steinkrügen getrunken hat. Marks Idee, dass wir eine ganz normale, diskrete und vielseitig einsetzbare Form finden müssen, hat mich überzeugt. Mir ist sehr wichtig, dass es immer einen Sekundärnutzen gibt. Meine Frau trinkt zum Beispiel ihren Tee aus diesem Becher, meine Kinder bewahren da drinnen ihre Zahnbürsten auf. Das finde ich schön.
Wo lassen Sie diese Becher produzieren?
Im Westerwald bei August Kilburg und Söhne. Diesen Familienbetrieb, der heute in siebenter Generation geführt wird, gibt es seit dem Jahr 1800. Sie haben auch ihre eigene Tongrube und fertigen bereits seit fünf Jahren für uns. Es ist wahnsinnig schwierig, etwas zeitlos Geschmackvolles zu kreieren – vor allem in einer Welt, in der alles so schnelllebig geworden und vor allem auf Effekthascherei aus ist. Wir wollen eine Gegenposition einnehmen. Wobei: Mittlerweile wird es ohnehin ein wenig besser. Menschen entwickeln wieder mehr und mehr Verständnis dafür, dass besondere Dinge auch einen Wert haben. Das ist eine gute Entwicklung.
Was, glauben Sie, hat diesen Wandel hervorgerufen?
Es gibt viele kleine Hersteller, die sich wirklich bemühen und qualitativ einen erkennbaren Unterschied leisten.
Sie arbeiten in einem wunderschönen, alten Bauernhof …
Ja, der stammt aus dem Jahr 1840. Den größten Teil mussten wir allerdings aus hygienischen Gründen und auch wegen der Bausubstanz abreißen und neu aufbauen. Original ist aber der Speicher. Die Brennerei, die sich außerhalb des historischen Bauernhauses befindet, haben wir nach unseren Plänen gebaut. Dabei ging es uns um eine Rückbesinnung auf alte Traditionen, kombiniert mit Technologie dort, wo moderne Technologie gut ist. Wenn Technologie etwas bringt, dann sehr gerne. Wir haben einen besonderen Destillierapparat – aber die Zitronen schälen wir zum Beispiel immer noch von Hand. Das könnte wohl auch eine Maschine machen – aber vermutlich nicht so gut. Außerdem wäre dann nicht so viel Leidenschaft bei der Arbeit dabei. Wenn jeder Arbeitsschritt mit Leidenschaft erfüllt ist, dann ist das einfach schön.
Können Sie uns die wichtigsten Arbeitsschritte beschreiben?
Der wichtigste Arbeitsschritt ist die Mazeration, also das Ansetzen pflanzlicher Zutaten in Alkohol, denn nur mit guten Zutaten kann ich ein gutes Produkt herstellen. Das ist der Kern des Produktes und hier geschieht sehr viel in Handarbeit. Wir arbeiten a la Minute, wie beim Kochen: Der Pfeffer wird zum Beispiel erst frisch gemahlen, bevor er wirklich verwendet wird. Nur so erzielen wir den erwünschten Effekt, dass die ätherischen Öle des Pfeffers mit dem Sauerstoff reagieren.
Wie traditionell muss, wie innovativ darf Handwerk sein?
Ich heize meine Brennblase elektrisch und nicht mit Feuer, weil ich die Temperatur von Feuer nicht exakt genug steuern kann. Ich muss die Blase aber eine Zeit lang um ein halbes Grad pro Minute mehr erhitzen können. Feuer ist romantisch, aber heute arbeitet jeder gute Koch am Induktionsherd. Die Technik ist notwendig, um perfekt arbeiten zu können. Zuvor müssen Sie Ihr Handwerk aber gelernt haben. Ich finde es nicht schlimm, moderne Technologien zu nützen, weil sie sehr effizient sind und man sich vielleicht den einen oder anderen Fehler ersparen kann.
Sie arbeiten mit relativ kleinen Brennblasen. Warum?
Ja, wir verwenden sehr kleine Brennblasen, nämlich 100-Liter-Blasen. Die Philosophie dahinter ist: Ich koche lieber für drei Freunde als für tausend Bekannte. Ich kann die Qualität bei kleinen Mengen einfach besser managen.
Macht es geschmacklich denn einen Unterschied, ob ich einer 100- oder einer 1.000-Liter-Blase destilliere?
Ja, sogar einen sehr großen. Das hat etwas mit dem Verhältnis zwischen der Kupferoberfläche und dem Inhalt zu tun. Und, ohne mich zu sehr in technischen Details zu verlieren: Wir arbeiten mit einer speziellen Technologie, der sogenannten Perkulation, bei der alkoholische Dämpfe durch pflanzliches Material geführt werden. Die Pflanzen sind in der Regel nach einer Stunde ermüdet oder ausgelaugt, danach kann ich nichts mehr extrahieren. Ein Destillationsvorgang dauert bei einer 1.000-Liter-Anlage aber etwa vier Stunden, bei unseren 100-Liter-Blasen inklusive Aufwärmphase etwas mehr als eine Stunde. Also arbeite ich lieber viermal mit der 100-Liter-Blase als einmal mit dem 1.000-Liter-Apperat.
Sie verzichten also bewusst auf einen größeren Output?
Um Perfektion zu erreichen muss man sich auf das konzentrieren, was man kann. Eine Einschränkung der Quantität zugunsten der Qualität ist ein absolutes Muss.
Seit 2016 gehören Sie mit Monkey 47 zum großen internationalen Spirituosenkonzern Pernod Ricard, der sich um den Vertrieb kümmert und sicher auch größere Mengen an den Mann bringen könnte. Gibt es da keine Begehrlichkeiten nach einer größeren Produktion?
Ich habe aus dem Nichts einen Vertrieb in 65 Ländern aufgebaut – und zwar in einer Zeit, in der es noch keinen Gin-Boom gab. Das wurde irgendwann ein wenig schwierig, deshalb habe ich mir einen strategischen Partner an Board geholt, der mir die Arbeit abnimmt, 15 Mal um den Globus zu fliegen. Und in Pernod Ricard habe ich diesen Partner gefunden.
Warum haben Sie sich für Pernod Ricard entschieden? Zu diesem Konzern gehören unter anderem Marken wie Jameson (Whiskey), Havana Club (Rum), Olmeca (Tequila), Absolut (Wodka) oder G.H. Mumm (Champagner).
Es musste ein Partner sein, der meine Arbeit versteht und auch ein Herz für das Produkt hat. Meine Mutter ist Französin und ich weiß, dass Franzosen sehr produktaffin sind. Sie mögen guten Käse, guten Wein, guten Champagner. Bei uns Deutschen ist das anders, wir investieren lieber in ein Auto als in gutes Essen. Alexandre Ricard, der das Unternehmen leitet, ist etwa in meinem Alter. Wir haben uns kennengelernt und offen miteinander gesprochen. Ich habe von Anfang an gesagt: Wir haben ein Produkt, das man nicht in beliebigen Mengen reproduzieren kann. Gerade das hat er sehr gut gefunden. Wir müssen nicht überall gelistet sein. Ich habe eine ganz einfache Definition von Luxus im Leben: Luxus ist, wenn man auch einmal nein sagen kann.
Gin ist heute ein Modegetränk. Lassen Sie uns einen Blick in die Zukunft werfen: Wohin wird sich der Markt in den kommenden Jahren entwickeln?
Das weiß ich leider nicht. Was ich aber weiß, ist, dass Qualität Bestand hat. Monkey 47 ist technisch gesehen ein Edelgeist und Dry Gin zugleich. So viel Aroma wie möglich und nicht so viel Aroma wie nötig – genau darum geht es.
Aber was braucht es, damit Ihr Gin gegen massenhaft produzierte Waren wirtschaftlich bestehen kann?
Wer kein Geld hat, braucht Ideen. Wenn man schnell ist und ein gutes Gespür hat, dann schafft man sich seine Nische selbst. Wenn man eine Vision hat, ein bisschen stur ist und sich von außen jene Hilfe holt, die man braucht, hat man gute Chancen. Konzerne haben ab einer gewissen Größe Schwierigkeiten, innovativ zu sein. Innovation ist ein Problem, weil verantwortliche Personen in Konzernen nicht gerne Risiken eingehen. Etwas Neues zu entwickeln, ist aber immer ein Risiko. Man entwickelt Neues mit anderer Leidenschaft, mit anderer Intensität, wenn man es selber und auf eigene Verantwortung macht. Man muss aber der Typ dafür sein. Kleine Labels entwickeln sich, weil es Typen gibt, die daran glauben, dass man wieder etwas Besonderes machen kann.
Sie haben Ihre Produktpalette gerade um den Monkey 47 Barrel Cut erweitert.
Ja, neben dem Dry Gin und unserem Sloe Gin, einem Schlehen-Likör, gibt es nach vier Jahren des Ausprobierens etwas Neues. Das besondere am Barrel Cut ist, dass er in 110 Liter großen Fässern aus Maulbeerbaum-Holz gelagert wurde. Diese Maulbeer-Fässer verleihen dem Getränk sehr schöne Noten. Es ist großartig, solche Ideen umsetzen zu können. Es ist aber weniger ein kommerzielles Projekt als eines, das ich mit sehr viel Leidenschaft betreibe.
Alexander Stein, 46, hat BWL studiert und lebt mit seiner Familie in Stuttgart. Seit 2008 entwickelt er die Gin-Marke Monkey 47. 2010 kamen die ersten 2.000 Flaschen in den Handel, 2011 wurde er bei der International Wine and Spirit Competition zum besten Gin der Welt gekürt.
Weiterführende Informationen finden Sie auf www.monkey47.com