In der modernen Wegwerfgesellschaft hat sich das deutsche Einzelhandelsunternehmen Manufactum längst als nachhaltiger Gegenpol etabliert. Anlässlich der Eröffnung zweier neuer Warenhäuser in Wien und Hannover baten wir Geschäftsführer Max Heimann, 44, zum Gespräch über haptische Erlebnisse beim Einkauf, die Definition „guter Dinge“ und wohin sich das Handwerk in Zukunft entwickeln soll.
Interview: Hannes Kropik
Herr Heimann, die Geschichte von Manufactum begann 1987 als Versandhandel, seither hat die Bedeutung von Online-Shopping stets zugenommen. Dennoch haben Sie im September in Wien das zehnte und zugleich erste Manufactum-Warenhaus außerhalb Deutschlands eröffnet, Mitte November folgt in Hannover bereits die elfte Dependance. Welche Bedeutung hat der stationäre Handel für Ihr Unternehmen?
Max Heimann: Manufactum zeigt, dass es anders geht, wenn man es anders macht. Man muss in der Lage sein, ein außerordentliches Sortiment an Produkten anzubieten. In Kombination mit dem gastronomischen Handwerk, das wir ebenfalls bieten, macht uns das zu etwas Besonderem. Wir schaffen eine Einkaufsatmosphäre, die anders ist als bei anderen filialisierten Unternehmen. Vor allem aber bieten wir je nach Kundenbedürfnis den passenden Vertriebsweg an. Der stationäre Handel bietet gegenüber dem Distanzhandel den Vorteil, dass der Kunde die Ware anfassen kann die Beratung persönlich und häufig auch ausführlicher stattfindet.
Es geht darum, den Kunden ein haptisches Erlebnis zu ermöglichen?
Für den Geschäftserfolg ist es wichtig geworden, dass Kunden die Ware mit mehreren Sinnen erleben zu können. Es geht aber auch darum, die Geschichte hinter den Produkten zu erfahren. In unseren Warenhäusern bieten wir rund 300 unterschiedliche Veranstaltungen pro Jahr an, zum Beispiel in Frankfurt ein Birdwatching zwischen den Bankentürmen. Wir zeigen aber, teilweise in Zusammenarbeit mit Handwerkern, wie man sich richtig rasiert, die Schuhe putzt oder ein Messer schleift. (Anm.: einen stets aktuellen Überblick über alle Veranstaltungen finden Sie hier auf der Manufactum-Homepage)
Welche Philosophie steckt hinter der Idee, Produkte auf diese Weise zu präsentieren?
Wenn man stumpf Geld gegen Ware tauscht, wird man beliebig und vergleichbar. Und dann brauchen Kunden ja wirklich nicht mehr irgendwo in ein Geschäft gehen, sondern können gleich online einkaufen. Wenn man in seinem Warenhaus aber tatsächlich einen Mehrwert anbietet, dann wird man für die Kundschaft interessant.
Die Produkte Ihres Sortiments sollen laut Eigendefinition „gute Dinge“ sein. Was macht ein Produkt für Sie zu einem „guten Produkt“?
Bei uns gibt es harte Listungskriterien: Produkte müssen langlebig, zeitlos und funktional sein, sie müssen Ressourcen schonend und reparierbar sein, sie müssen sozial verträglich hergestellt werden und sie müssen handwerklich herausragend gut sein. Letztendlich lässt sich das alles unter dem Begriff „nachhaltig“ zusammenfassen, der heute in aller Munde ist. Diese Idee bewegt Manufactum aber bereits seit der Gründung vor mehr als 30 Jahren – ohne, dass bei uns damals jemand explizit von „Nachhaltigkeit“ gesprochen hätte.
Treffen sich in Ihrem Fall also Philosophie und Zeitgeist?
Wichtig ist, dass wir nicht irgendwelchen Trends hinterherlaufen. Deshalb verzichten wir schon auch hin und wieder auf raschen Umsatz, wenn ein trendiges Produkt nicht zu hundert Prozent unsere Listungskriterien erfüllt. Dafür ist die Bartpflege bei Manufactum von Anfang ein Thema gewesen; dass jetzt – gefühlt – ein Barbershop neben dem anderen in den Metropolen dieser Welt aus dem Boden schießt, zeigt nur, wie nah wir an Themen dran sind. Wir überprüfen natürlich regelmäßig, ob unsere Listungskriterien weiterhin passend und ausreichend sind und ergänzen oder verändern sie gegebenenfalls auch. In der Regel bestätigen wir unsere Kriterien aber. Im Prinzip ist unser Kriterienkatalog sehr beständig – was uns ermöglicht, unser Sortiment zu erweitern, ohne unglaubwürdig zu werden.
Sie setzen in Ihrem Sortiment stark auf Produkte regionaler Handwerker und Manufakturbetreiber. Aber wie kann man als kleiner, unabhängiger Handwerker Partner von Manufactum werden?
Hier gibt es verschiedene Wege. Ein Einkäufer „stolpert“ vielleicht zufällig über ein Produkt, das genau jenes Teil ist, das er oder sie gesucht hat, um ein bestehenden Sortiment sinnvoll zu erweitern. Vielleicht ist so ein Produkt sogar besser als jenes, das wir bereits im Sortiment haben. Dann geht unser Einkäufer aktiv auf den Handwerker oder den Manufakturbetreiber zu. Umgekehrt ist es aber natürlich auch so, dass sich sehr viele Produzenten bei uns melden. Und dann gibt es treue Kunden und andere Menschen in unserem Umfeld, die etwas entdecken und uns informieren: „Das solltet Ihr euch dringend mal ansehen!“
Spielt die Größe des Produzenten eine Rolle für Sie?
Die Frage ist nicht: Handelt es sich um einen großen oder einen kleinen Hersteller. Aber natürlich müssen wir darauf achten, dass die Hersteller eine Grundanforderung an produzierbaren Mengen erfüllen. Es hilft ja niemandem, wenn wir mit einem Produkt nach einem halben Jahr Schiffbruch erleiden.
Ein Schwerpunkt Ihres Sortiments sind seit rund 20 Jahren Produkte aus Klosterläden aus ganz Europa. Was unterscheidet diese Produkte von „weltlichen“?
In Klöstern wird seit vielen, vielen Jahren das Handwerk gepflegt. Und das mönchische Leben war immer und ist auch heute noch sehr eng mit der vielfältigen Alltagskultur verknüpft. Wir versuchen ja, Alltagsmomente in besondere Momente zu verwandeln. Gerade die Produkte aus der Serie „Gutes aus Klöstern“, die uns von unseren Mitbewerbern unterscheidet, erfüllt dieses Versprechen sehr gut.
Traditionelles Handwerk galt eine Zeit lang als altmodisch, als unmodern. Dieses Bild scheint sich gewandelt zu haben – warum, glauben Sie, ist es heute wieder ein positives Merkmal, wenn ein Produkt nach traditionellen Methoden und oftmals tatsächlich von Hand gefertigt wurde?
Viele Menschen gehen wieder achtsamer mit sich selber und ihrer Umwelt um. Und sie finden in Manufactum einen Gegenpol zur Wegwerfgesellschaft. Unsere langlebigen Produkte sprechen viele Menschen an, die sich Gedanken um die Natur, um unser Klima machen. Sie kaufen lieber weniger, aber dafür bewusster ein. Zum Beispiel eine eisengeschmiedete Pfanne, die zwar sehr viel schwerer ist als eine teflonbeschichtete, die man dafür aber ein Leben lang verwenden kann. Aus diesen Gedanken heraus ist es uns besonders wichtig, dass wir unsere Produkte notfalls reparieren können. Wir haben in unserer Zentrale ein Lager mit tausenden Boxen, und unsere Mitarbeiter wissen genau, in welcher Box sie welche Schraube oder sonstige Ersatzteile finden.
Wie definieren Sie persönlich eigentlich „Handwerk“?
Man sollte Handwerk nicht nur auf die manuelle Fertigung reduzieren. Ich glaube, dass Handwerk auch hochtechnologisch sein kann. Die Nutzung von alten und neuen Materialien nebeneinander ist zulässig, solange die Grundstrukturen nicht für eine Massenfertigung ausgelegt sind. Man muss erkennen können, dass Menschen im Einsatz sind, die sich bewusst mit technischen Möglichkeiten beschäftigen.
In welche Richtung muss sich Handwerk entwickeln, um auch in Zukunft auf dem Markt bestehen zu können?
Ich glaube, dass sich das Handwerk neuen Materialien öffnen muss und sich der Technologie nicht verschließen darf. Man darf nicht schwarz-weiß denken und zeigen, dass man bewusst gegen irgendwelche Entwicklungen ist. Im Gegenteil. Handwerker müssen sich neue Werkstoffe, Herstellungsverfahren und andere Errungenschaft genau anschauen und dann entscheiden, ob Sie sinnvoll genutzt werden können. Wichtig ist aber ebenfalls, dass Handwerker durch Unternehmen wie Manufactum die Gelegenheit bekommen zu zeigen, dass es gewisse Herstellungsverfahren noch gibt und durchaus ihre Berechtigung und, ja, ihren Preis haben. Aber man muss eben natürlich kommunizieren, wie viel Arbeit in einem Produkt steckt. Wenn man das hinbekommt, dann hat das Handwerk auch in Zukunft seine Berechtigung, keine Frage.
Alles Weitere über Manufactum finden Sie auf www.manufactum.de