Nina Kainz: „Qualität und Individualität“

Nina Kainz machte sich vor zehn Jahren mit ihrer Maßschneiderei ninas needles selbstständig und hauchte der Wiener Tracht neues Leben ein. Im Interview mit der MEISTERSTRASSE erzählt die Wienerin über den Einfluss ihrer Familie auf die Karriere, den Unterschied zwischen Handwerk und industriell produzierter Massenware und warum ein Roboter sie nie ersetzen könnte.


Interview: Hannes Kropik, Fotos: Rainer Ressmann

Frau Kainz, wie sind Sie zur Maßschneiderei gekommen?
Nina Kainz: Ich muss kurz ausholen: Zwei Wochen vor der Matura ist mein Sohn Noah zur Welt gekommen. Nach der Matura habe ich im Gastgewerbe zu arbeiten begonnen und erst, als Noah in die Volksschule gekommen ist, überlegt, was ich beruflich wirklich machen möchte. Ich wollte mich mit einer Strickwarenboutique selbständig machen, doch dafür hätte ich einen Gewerbeschein und eine Unternehmerprüfung gebraucht. Die einfachste Variante, um die notwendigen Genehmigungen zu bekommen, war ein Modekolleg. Während der Ausbildung habe ich erkannt, dass mir das Nähen viel mehr Freude macht. Nach den zwei Jahren am Kolleg habe ich mich entschlossen, ein Jahr Meisterklasse für Damen-Haute-Couture in der Herbststraße dranzuhängen. 2008 habe ich die Meisterprüfung für Damenkleidermacher abgelegt, danach war ich ein halbes Jahr bei Toastmann Trachtenund dann habe ich mich selbständig gemacht.

Gab es eine familiäre Vorbeziehung zur Schneiderei?
Meine Großmutter hat im Rahmen ihrer Ausbildung zur Volksschullehrerin während des 2. Weltkriegs auch eine Ausbildung zur Handarbeitslehrerin gemacht. Sie hat mir, lange bevor ich selbst in die Schule gekommen bin, Häkeln, Stricken, Sticken und Nähen beigebracht. Sie wusste genau, wie man kleine Kinder für diese Arbeiten begeistert. Mama und Oma haben zu Hause immer genäht – nicht professionell, aber so, wie man das früher eben gemacht hat. Es hat ja immer etwas zum Ausbessern oder Aufarbeiten gegeben.

Ein großer Unterschied zu heute …
Ja, der Zugang hat sich stark geändert. Heute ist es einfach nicht mehr günstiger, wenn man sich zu Hause etwas selber näht.

Was uns zu der Frage bringt: Wie kann Handwerk heute gegen massenhaft gefertigte und damit oftmals extrem günstige Waren bestehen?
Um die 20 Euro, mit denen man bei internationalen Ketten ein Kleid kaufen kann, bekomme ich im Einkauf einen Zipp, die Nähseide und drei Overlockgarne. Vom Stoff oder gar meiner Arbeitszeit ist da noch gar keine Rede …

Eben! Also wie können Sie Kunden davon überzeugen, lieber in ein handgefertigtes Kleidungsstück zu investieren?
Nur mit Qualität und Individualität. Ein handgefertigtes Kleidungsstück hält viel länger, denn die Stoffqualität und Verarbeitung sind wesentlich besser als bei massenhaft produzierten Stücken. Meine Kundinnen und Kunden genießen außerdem die Einzigartigkeit und Passformgenauigkeit meiner auf ihren Leib geschneiderten Maßarbeiten.

Sprechen Sie eine andere Klientel an als die großen Modeketten?
Nicht unbedingt. Selbst Damen, die normalerweise im Shoppingcenter einkaufen, heiraten irgendwann – und ein Brautkleid ist doch etwas Besonderes und wird oft handgefertigt. Und auch für ein maßgefertigtes Dirndl sind viele Leute bereit, mehr Geld auszugeben. Aber bei Alltagskleidung ist es doch eine andere Zielgruppe.

Was fasziniert Sie am meisten an Ihrer Arbeit?
In der Maßschneiderei ist jedes Kleidungsstück ein individuelles Produkt. Und weil ich alles selber mache, bin ich permanent mit verschiedenen Aufgaben beschäftigt: Ich zeichne die Schnitte, bügle den Stoff ab und schneide ihn zu, ich nähe. Außerdem gefällt mir, dass ich mich kreativ einbringen kann.

Wie weit ist ihre Kreativität tatsächlich gefordert – oder anders gefragt: Wie genau sind die Wünsche der Kundinnen und Kunden definiert?
Ich darf auf jeden Fall mit Ratschlägen zur Seite stehen, Ideen verfeinern und in einem Entwurf zu Papier bringen. Denn ein Kleid, das einem 1,95 Meter großen und 35 Kilo schweren Model perfekt steht, sieht an einem normalen Menschen nicht zwingend ebenfalls gut aus. Mir geht es nicht nur darum, ein schönes Kleidungsstück herzustellen. Ich will, dass dieses Stück seiner Trägerin oder seinem Träger sehr gut passt.

Worauf achten Sie besonders?
Weniger ist oft mehr. Ich finde die Schlichtheit meistens sehr viel eleganter, als wenn alles mit Rüschen und Maschen und anderen Effekten überladen ist.

Zu Ihren Leitprodukten gehören Dirndl und Tracht – und da vor allem das Wiener Dirndl. Was unterscheidet dieses Wiener Dirndl von anderen Dirndln aus den Bundesländern?
Dirndl und Trachten sind in Wien sicher eine Besonderheit, weil sie in der Stadt nicht mehr von sehr vielen Menschen hergestellt werden. Ich habe lange recherchiert, bis ich alte Aufzeichnungen gefunden habe: Der Leib einer Tracht „Raum Wien“ wird aus blauem Leinen geschneidert, der Rock ist rot-weiß-kariert und die Schürze kann rot, blau oder rosa gestreift sein. Ein markanter Unterschied zu Dirndl aus anderen Regionen ist der Knopfverschluss seitlich links und rechts.

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Wie lange dauert es, bis so ein Dirndl fertig ist?
Festtrachtdirndl sind wesentlich aufwändiger als Alltagsdirndl, aber im Schnitt muss man mit rund 20 Arbeitsstunden rechnen.

Wie definieren Sie den Begriff Handwerk?
Handwerk hat auf jeden Fall viel mit Tradition zu tun und damit, dass etwas mit den Händen gefertigt wird. Es braucht dazu eine fundierte Ausbildung – und dann sehr viel Übung.

Welche Fähigkeiten muss man mitbringen, um eine gute Schneiderin zu werden?
Man muss sehr genau sein. Und vor allem man muss sehr geduldig sein. Anfangs muss man bereit sein, Nähte immer wieder aufzutrennen und von vorne zu beginnen, weil es nicht so gleichförmig war, wie man es gerne möchte. Du wirst mit deiner Arbeit mit der Zeit natürlich schneller, aber die Genauigkeit hast du oder du hast sie nicht.

Und welche technischen Fertigkeiten braucht es?
Ich persönlich lege viel Wert auf traditionelles Nähen, das bedeutet: viel Handarbeit. Es gäbe manchmal schnellere Methoden, aber das Ergebnis wäre nicht genauso schön. Ich bin lieber bereit, für ein tolleres Ergebnis mehr Zeit zu investieren, als den einfacheren Weg zu gehen.

Was muss Handwerk tun, wie muss es sich entwickeln, um auch für zukünftige Generationen noch relevant und interessant zu sein?
Wir müssen die besonderen Möglichkeiten des Handwerks noch klarer herausarbeiten. Ganz wichtig dabei ist, dass Handwerk eben von Menschen und nicht von Robotern betrieben wird. Natürlich verwenden wir alle irgendwelche Maschinen. Aber es macht einen großen Unterschied, ob ein Lasermessgerät die Daten eines Menschen ermittelt oder ob ein Schneider seinen Kunden abmisst.

Provokant gefragt: Wo liegen die Vorteile des Handwerks? Der Computer ermittelt Daten doch sicher exakter, oder?
Ja, der Computer misst vielleicht genauer. Aber eine Schneiderin sieht, wie die Person dasteht. Neigt sie sich nach vorne? Gibt es Einseitigkeiten? Solche Details kann eine Maschine nicht berücksichtigen. Bitte nicht falsch verstehen, ich habe nichts gegen den Einsatz von Technologie bei der Arbeit, etwa strombetriebene Nähmaschinen. Aber sie soll und kann den Menschen nie ganz ersetzen.

Die Werkstatt von ninas needles befindet sich in der Eckpergasse 40, 1180 Wien. Um Terminvereinbarung unter +43 664 485 43 41 oder nina@ninasneedles.com wird gebeten.
Weitere Informationen: www.meisterstrasse.com/de/ninas-needles