Schreiben ist nicht gleich Schreiben. Das weiß niemand besser als Stefan Friedrich, der beim Hamburger Traditionsbetrieb Montblanc als „Senior Team Leader Nib Manufacturing“ die Feder-Produktion verantwortet. Im Interview mit der MEISTERSTRASSE erzählt der gelernte Werkzeugmacher, was den Unterschied zwischen einer Füllfeder und einem Kugelschreiber ausmacht, wie elegantes Handwerk zur Gesprächsbasis wird und warum Roboter Menschen nicht ersetzen können.
Interview: Hannes Kropik
Herr Friedrich, wie entsteht eine Feder? Die nackten Zahlen sprechen von 18 Karat Gold und von 35 Arbeitsschritten.
Stefan Friedrich: Alles beginnt mit einem 0,6 Millimeter dicken Goldband. Diese Rolle wird angeliefert, auf die benötigte Dicke ausgewalzt und dann werden die Federn ausgestanzt. In weiterer Folge wird die Feder geprägt und in Form gepresst, dann schweißen wir vorne einen Punkt aus Iridium an, einem sehr harten Edelmetall aus der Gruppe der Platin-Metalle. Dieser Punkt dient dazu, dass sich das Gold am Papier nicht abnutzt. Auf diesen Punkt geben wir eine lebenslange Garantie, deshalb können unsere Schreibgeräte auch von Generation zu Generation weitergegeben werden.
Wie viel Handarbeit steckt in einer Montblanc-Feder?
Natürlich verwenden wir Maschinen und wir nutzen modernste Technologien, zum Beispiel Laser. Aber in einigen Arbeitsschritten ist Handarbeit nicht durch Maschinen ersetzbar.
Zum Beispiel?
Ich könnte vielleicht für 60 oder 70 Millionen Euro einen Roboter entwickeln lassen, der dennoch nicht die gleichen Qualitäten hätte wie ein Mensch. Vor allem beim Schleifen. Das ist seit mehr als hundert Jahren der gleiche Vorgang: Ein Mitarbeiter schleift feinste Nuancen ab.
Von welchen Dimensionen sprechen wir hier in etwa?
Ach, das ist oft nur ein Hauch, vielleicht wenige Hundertstel Millimeter. Da geht es um kleinste Ecken, die unsere Mitarbeiter beim Schreiben spüren. Künstliche Intelligenz kann diese Erfahrungen nicht selbst machen und vor allem nicht richtig interpretieren. Eine Maschine kann nicht fühlen, ob eine Feder eine Spur zu hart oder zu weich ist, zu rau, zu kratzig – dafür braucht man einfach Menschen. Es ist eine sehr individuelle Arbeit, manchmal arbeitet eine Schleiferin zwei Minuten an einer Feder, manchmal aber auch nur drei Sekunden.
Was macht einen Menschen zu einem guten Federschleifer?
Dieser Mitarbeiter an der Schleifmaschine – und das sind Frauen ebenso wie Männer – sehen anhand ihrer langen Erfahrung, was sie an jeder einzelnen Feder tun müssen, um dem Endkunden dieses Gefühl zu geben: „Wow! Das ist wirklich ein großer Unterschied zu einem Füller, den ich für zehn Euro kaufen kann.“
Verträge kann ich auch mit einem Kuli unterschreiben, den ich für wenige Cent im Supermarkt kaufe. Warum greifen trotzdem einige Menschen lieber zur erheblich wertvolleren Füllfeder?
Weil unsere Federn eine gewisse Symbolkraft haben. Wenn ich in einer Rechtsanwaltskanzlei mit meiner Füllfeder eine wunderschöne Handschrift kreiere, wenn ich einen Vertrag unterzeichne, dann ist das ein Statement. Wenn ich mit eleganter Handschrift unterschreibe, kommt das Gespräch auch sehr schnell auf das Schreibgerät, auf die Feder. Und plötzlich redet man über Füllfedern, unter Kennern sogar über unterschiedliche Editionen. Das sind dann ganz andere Gespräche, eine ganz andere Gesprächsbasis.
Was kann das Handwerk heute, was es vor hundert Jahren nicht konnte? Und was muss es leisten, um auch in Zukunft gegen industriell hergestellte Massenware bestehen zu können?
Das ist eine schöne Frage. Nicht zuletzt dank Initiativen wie der Michaelangelo-Foundation, die jungen Künstlern eine große Bühne bietet, kann es gelingen, das Handwerk wieder nach vorne zu treiben. Wichtig ist: Die Leute müssen merken, dass sie sich eine Wertigkeit schaffen können, wenn sie in handwerklich gefertigte Produkte investieren. Wir sprechen ja nicht nur von Schreibgeräten. Wenn ich mir eine schön gefertigte Lederaktentasche kaufe, dann habe ich ein Leben lang Freude daran. Handwerk kann dann überleben, wenn es Menschen das Gefühl gibt, dass hier etwas von mir für dich geschaffen wird – und wenn Menschen das Gefühl bekommen, dass in einem Produkt tatsächlich Arbeit steckt.
Worauf sollte ich beim Kauf einer Füllfeder achten?
Lassen Sie sich in einer unserer Boutiquen beraten: Standardmäßig gibt es acht unterschiedliche Federbreiten und es gilt herauszufinden, wie Sie überhaupt schreiben. Natürlich muss der Füllhalter gut in der Hand liegen. Aber wenn ich mit einer Feder die Tinte nicht ordentlich aufs Papier bringe, weil ich den Stift nicht richtig halten kann, dann muss ich eine andere Feder probieren. Es geht bei der Füllfeder ja um dieses angenehme Schreibgefühl, um die Rotation und die Kräfte, mit denen ich einen wunderschönen Schwung aufs Papier bringe. Erst wenn ich weiß, mit welcher Feder ich am besten schreiben kann, sollte ich mir Gedanken über die Haptik des Gerätes machen.
Und wenn keines der Standardmodelle wirklich passt?
Wir stellen auf Wunsch auch spezielle Federbreiten her. Wir hatten zum Beispiel die Anfrage eines japanischen Architekten, dem selbst unsere extrafeine Feder zu breit war. Ihm haben wir eine Feder hergestellt, bei der die Spitze 0,25 Millimeter breit ist. Das ist wie eine Stecknadel, die Sie in Tinte tauchen. Vermutlich kann kein anderer Mensch auf der Welt damit schreiben, aber für ihn ist sie ideal, um auf seine Plänen winzig kleine Schriftzeichen zu setzen.
So eine Feder kann aber keine Maschine der Welt in der gewünschten Qualität herstellen.
Genau. Da sitzt dann eine meiner Kolleginnen mit der Lupe an der Schleifmaschine und schleift winzige Bereiche ab, sieht wieder nach, schleift, probiert, schleift wieder, merkt dann am Papier, dass es offenbar noch immer nicht hundertprozentig stimmig ist. Das macht sie so lange, bis sie wirklich zufrieden ist. So eine Arbeit könnte ein Roboter heute einfach nicht leisten.
Aber macht Ihnen dann die Entwicklung am Roboter-Sektor nicht Angst, dass Ihre Arbeit doch eines Tages wirklich von Maschinen übernommen werden kann?
Nein. Wir sehen in den vergangenen zwei, drei Jahren, dass wir am Schreibgerätesektor wieder steigende Verkaufszahlen haben. Das liegt meiner Meinung nach an einem gesellschaftlichen Wandel: Es wächst eine Generation heran, die von frühester Jugend an an Handys, Tablets und Computer gewöhnt war. Natürlich haben diese Menschen immer irgendwelche technischen Geräte dabei – aber für sie übt es einen ganz besonderen Reiz aus, einen Brief mit der Füllfeder zu schreiben. Wir stellen uns ja nicht gegen die Technologie, im Gegenteil. Wir entwickeln bei Montblanc auch Produkte im Bereich Augmented Paper: Sie machen am Papier Notizen mit dem Montblanc-Schreibgerät, doch das Notizbuch ist mit einem Computer oder dem Mobiltelefon verbunden und Sie können die Datei, an der Sie gerade gearbeitet haben, sofort als PDF weiter transportieren und auf anderen Endgeräten bearbeiten. Das ist zum Beispiel für Architekten und Journalisten sehr praktisch.
Das Schreiben mit der Hand ist ja eine uralte Kulturtechnik, die in den vergangenen Jahren durch das Tippen auf Computertastaturen in weiten Teilen der Gesellschaft abgelöst wurde. Werden wir in Zukunft überhaupt noch Füllfedern und Kugelschreiber brauchen?
Es wird natürlich nie wieder so werden, wie es einmal war. Heute ist alles viel zu hektisch, viel zu schnell geworden. Sehen Sie sich nur die Entwicklung der vergangenen 100 Jahre an! Aber die Kunst des Schreibens bereichert unser Leben nun schon seit mehr als 5.000 Jahren und sie wird es auch weiterhin geben – egal, ob mit dem Füllfederhalter oder dem Kugelschreiber.
Was ist ein eigentlich der große Unterschied zwischen dem Schreiben mit einem Kugelschreiber und einer Füllfeder?
Wenn Sie viel mit einem Kugelschreiber arbeiten, werden ihre Finger schmerzen, weil Sie permanent aufdrücken müssen. Sie werden aber viel entspannter schreiben, wenn Sie die Feder nur führen. Sie werden sehen, Sie können durch bewusstes Schreiben mit der Feder Ihr Leben entschleunigen.
Stefan Friedrich leitet die Feder-Produktion der Montblanc International GmbH. Das Hamburger Traditionsunternehmen zählt zu den weltweit führenden Produzenten von hochwertigen Schreibgeräten, Armband-uhren, Schmuck und Lederwaren.
Weitere Informationen finden Sie auf www.montblanc.com