Leonid Rath: „Man muss das Handwerkliche in seiner ganzen Tiefe spüren“

Geschäftsführer Mag. Leonid Rath im Expedit von J. & L. Lobmeyr. Foto: YSSO

Von 14. bis 30. September ist J. & L. Lobmeyr Österreichs einziger Vertreter bei der internationalen Handwerksausstellung Homo Faber in Venedig zu Gast. Vorab erzählt Mag. Leonid Rath, der den ehemaligen k.u.k. Hoflieferanten im Jahr 2000 gemeinsam mit seinen Cousins Andreas und Johannes in sechster Generation übernommen hat, wie er die Furcht vor frischen Ideen verloren hat, worin heute wahrer Luxus besteht und welchen Herausforderungen sich zukünftige Generationen stellen müssen.

Interview: Hannes Kropik

Herr Mag. Rath, der ehemalige k.u.k. Hoflieferant J. & L. Lobmeyr wurde im Jahr 1823 von Ihrem Urururgroßvater gegründet und die Leitung seither von einer Generation auf die nächste übertragen. Wie gelingt es Ihrem Betrieb heute, knapp 200 Jahre danach, immer noch, gegen maschinell gefertigte und damit deutlich billigere Massenware am Markt zu bestehen?
Wir spüren einen starken Trend: Gerade durch dieses Massenangebot an Konsumartikeln mittelmäßiger Qualität wächst das Bedürfnis nach Produkten, durch die das menschliche Bestreben nach Perfektion und Schönheit spürbar wird. Wir freuen uns immer wieder, dass Menschen nach vielen Erfahrungen auf dem Markt bei uns genau jenes Ideal finden, nach dem sie schon so lange gesucht haben. Wir präsentieren ja viele einfache, klare Designs aus allen Epochen, die eigentlich nur durch die spürbare Qualität der Umsetzung wirklich ihre Berechtigung bekommen. Unsere Kunden empfinden diese Qualität als Wert-voll.

Met-Luster
Weltberühmt: Der „Met Auditorium“ wurde 1963 von Hans-Harald Rath, dem Großvater der heutigen Lobmeyr-Führungsgeneration, für die New Yorker Metropolitan Opera entworfen und zählt zu den bekanntesten Luster des 20. Jahrhunderts.

Was unterscheidet Handwerk heute vom Handwerk vor 100 oder 200 Jahren? Und was sind die Gemeinsamkeiten, worauf kommt es immer noch an?
Das ist bei uns in der Produktentwicklung tatsächlich jeden Tag aufs Neue die große Herausforderung. Denn man muss zugeben, die Industrie hat tatsächlich viele Dinge sehr gut gelöst. Daher müssen wir heute immer darauf achten, dass wir die Dinge im handwerklichen Bereich forcieren, die mit industriellen Billigtechniken nicht machbar sind. Das ist übrigens der Grund, warum wir heute wenig klassischen Schliff anbieten.

Können Sie dafür noch ein Beispiel nennen?
Ein Glas zu dekorieren, heißt für uns heute nicht mehr, es günstig vollzudekorieren. Das war ein großer Trend in den 1970er- und 1980er-Jahren, in der Zeit also, in der das traditionelle Handwerk abgestorben ist. Wir haben uns entschieden, jetzt ganz feine Details oft klein auf das Glas zu gravieren beziehungsweise zu malen – aber dafür in bester Qualität. Die Kunden müssen dabei aber das Handwerkliche in seiner ganzen Tiefe spüren können.

Minimalismus als Luxus …
Luxus ist immer etwas, das dem Menschen, das der Gesellschaft fehlt, ein Bedürfnis, das nicht erfüllt wird. Früher war Luxus mit viel Glanz, Gold, Funkeln und Zerstreuung konnotiert. Nach der industriellen Revolution sind all diese reich dekorierten Dinge aber immer billiger produziert worden und mittlerweile zum leblosen, weil herzlos hergestellten Kitsch verkommen. Heute gibt es von allem zu viel und dieser Überfluss führt zu einem ganz anderen, neuen Luxus. Zum Beispiel freier Raum. Oder freie Zeit. Stille. Oder nehmen Sie die Kulinarik: Im Barock war eine luxuriöse Mahlzeit eine Orgie, eine Völlerei mit überbordenden Tafeln. Heute bekommst du in dieser neuen Nordischen Küche irgendwelche Wurzeln, die der Koch persönlich im Wald ausgegraben hat. Die Entwicklung geht ins Archaische: Der Mensch will sich wieder erden, weil er in dieser unruhigen Welt den Kontakt zum Boden verloren hat. Dieses Erden-wollen ist ein Bedürfnis, das durch Handwerk sehr gut befriedigt werden kann.

 

Ein Schuhmacher, ein Schneider sind heute meist sehr gut in ihrem Grätzel, in ihrem Ort eingebunden und sprechen oft eine lokale Klientel an. Wie ist das bei J. & L. Lobmeyr? Leben Sie auch von dem Charme, ein Wiener Traditionsbetrieb zu sein oder sehen Sie sich eher als international vernetzten Global Player?
Bei unserem Produkt steht die direkte Nähe nicht so sehr im Vordergrund, weil unsere Kunden ja nicht zum Anpassen in die Werkstatt kommen; Sonderfertigungen können wir auch per Mail gut abstimmen. Aber natürlich ist Wien ausgesprochen wichtig für uns, es ist Teil unserer Identität, denn die Tradition spielt in unserer Marke eine große Rolle: Wien war jahrhundertelang Hauptstadt der Monarchie und hat daher auch eine ganz starke Design-Tradition. Aus dieser Zeit hat sich ein unglaublicher Schatz an Formen, Ornamenten und Details angesammelt, in Wien haben sich sehr viele ganz eigene Handwerkstechniken entwickelt. Unser heutiger Kristallschliff zum Beispiel ist aus dem Bergkristallschliff heraus entstanden, der in der Renaissance zu Zeiten von Rudolf II (Anm.: 1552 – 1612) aufgekommen ist. Natürlich war unsere Firma beim Ringstraßenbau sehr aktiv eingebunden, vor allem aber war Wien im frühen 20. Jahrhundert eine Wiege des modernen Designs. Heute sehnt man sich wieder nach diesem klaren Design – und wir besitzen ja viele schöne Entwürfe von großen Architekten wie Josef Hoffmann und Adolf Loos. Und aus dieser Tradition heraus entwickeln wir neue Produkte.

J. & L. Lobmeyr war immer dafür bekannt, mit den wichtigsten Architekten und Designern seiner Zeit zusammenzuarbeiten und daran hat sich nichts geändert. Zuletzt haben Sie unter anderem Künstler wie Stefan Sagmeister oder Ted Muehling für neue Designs gewinnen können. Wie wichtig ist, den Spagat zu finden zwischen Kunden, die vor allem lieb gewonnene Traditionen pflegen und der Notwendigkeit, frische Ideen einfließen zu lassen?
Wir hatten anfangs tatsächlich Angst, alte Kunden zu vergraulen. 2003 hatte ich dazu ein Schlüsselerlebnis: Wir haben damals mit der für unsere Verhältnisse relativ wilden Berliner Porzellan-Manufaktur Stefanie Hering zusammengearbeitet und einige größere Objekte, nämlich skulpturale Schalen und Vasen, bei uns im Geschäft auf einem schwarzen Hoffmann-Tisch präsentiert. Das hat toll ausgesehen, aber es war weit, weit weg von allem, was wir in den Jahrzehnten davor gemacht haben. Und dann ist der damals knapp 70-jährige Engelbert Wenckheim, der noch Chef der Ottakringer Brauerei war und netterweise regelmäßig bei uns wegen Bierkrügen vorbeigeschaut hat, durchs Geschäft gegangen und sagt so beiläufig und gut hörbar in den Raum: „Ihr werdet’s doch nicht aufwachen?!“

Und? Sind Sie aufgewacht?
Ja, witzigerweise ist von unserem Urgroßvater ein ähnliches Erweckungserlebnis überliefert. Er hat sich dann den Künstlern der Wiener Werkstätte zugewandt. Und wir haben von 2003 bis heute 100 neue Projekte auf Schiene gebracht Momentan bringen wir vier bis sechs neue Produkte pro Jahr auf den Markt. Viele waren Experimente oder spezielle Arbeiten für Ausstellungen, wie die Vienna Design Week oder Wallpaper*Handmade – manche sind verschwunden, manche sind geblieben. Aber ein Drittel unseres Glassortiments heute – und auch unseres Umsatzes – besteht aus Produkten, die nach 2003 entstanden sind.

Wie groß ist das Design-Archiv, auf das Sie heute zugreifen können?
Wir können unser Sortiment zum Beispiel aus 286 Trink-Servicen „kuratieren“. Es geht uns um gut gestaltete Dinge für die Bedürfnisse von heute. Manche unserer Entwürfe aus dem Jahr 1856 sind von der Anmutung her „moderner“ als ein Service, das wir jetzt gerade mit Ilse Crawford entwickelt haben.

Trinkservice No 238, Design von Josef Hoffmann, 1917
J.& L. Lobmeyr hat immer mit den großen Designern ihrer Zeit zusammengearbeitet, wie etwa mit Josef Hoffmann, der (unter anderem) 1917 ein heute noch erhältliches Trinkservice entworfen hat, aber auch mit Adolf Loos oder Stefan Sagmeister (unten).

Adolf Loos steht auf Stefan Sagmeister

Als einziger österreichischer Vertreter ist J. & L. Lobmeyr von 14. bis 30. September bei der Homo Faber in Venedig zu Gast, einer großen internationalen Veranstaltung rund um das Thema Handwerk.
Diese Initiative geht von der Michelangelo-Foundation for Creativity & Craftsmanship aus, die von Franco Cologni und Johann Rupert, dem Chef der Richemont-Gruppe, gegründet wurde. Für diese Ausstellung hat die Stiftung die gesamte Insel San Giorgio Maggiore  gegenüber vom Markusplatz angemietet. In dem ehemaligen Kloster gibt es acht unterschiedliche Ausstellungsbereiche zum Thema Handwerk, es geht unter anderem um Handwerk im Luxus, Handwerk in der Mode oder Handwerk in der zeitgenössischen Kunst. Wir werden dort – neben verschiedenen kostbaren Objekten – zweieinhalb Wochen lang eine lebendige Werkstatt mit einem Handwerker, unserem Kupferrad-Graveur, präsentieren. Das ist zwar aufwendig, aber das Tolle an dieser Ausstellung ist, dass die Besucher eben wirklich Top-Handwerkern live bei der Arbeit zusehen können.

Was fasziniert Sie persönlich an Ihrer eigenen Arbeit?
Der tägliche Umgang mit diesen wunderschönen Produkten, den Menschen, die sich dafür interessieren und die Möglichkeit, Dinge wirklich gut zu machen. Wir sind in einem relativ hochpreisigen Nischensegment zu Hause und es ist schön, dass die Kunden erlauben – aber auch erwarten! -, dass wir Dinge wirklich zu Ende entwickeln. Wir müssen und dürfen keine faulen Kompromisse eingehen, sondern konzentrieren uns auf die Qualität.

Wie definieren Sie Qualität?
Qualität bedeutet, dass eine Entwurfsidee im Endprodukt spürbar ist. Wenn die Idee ist, eine ganz zarte Kugel mit organischem Ausguss als Krug zu produzieren, dann muss diese Zartheit mit ihren fließenden Formen im Endeffekt spürbar sein. Das Material Glas ist aber sehr eigenwillig und stellt sich menschlichen Ideen oft entgegen. Wenn das Glas zum Beispiel an verschiedenen Stellen unterschiedlich dick ist, führt das zu optischen Verzerrungen. Uns geht es darum, alles menschlich Mögliche zu tun, um das geplante Design wirklich umzusetzen. Designqualität heißt wiederum, dass emotionale und faktische Funktion, Ästhetik und die Fertigkeiten der Handwerker und die Möglichkeiten des Materials perfekt abgestimmt sein müssen. Hin und wieder gibt es ja auch Kopien von unseren Produkten, aber diesen Produkten sieht man an, dass sie kein Leben haben. Selbst wenn das Design relativ ähnlich ist, funktioniert es nicht.

2023 wird J. & L. Lobmeyr sein 200-jähriges Bestehen feiern. Aber was wird es brauchen, damit es diesen Traditionsbetrieb nicht nur 200, sondern vielleicht 300 Jahre und mehr gibt und dass es nach der 6. nicht nur eine 7. sondern noch viele weitere Generationen an der Spitze gibt?
Es wird Generationen mit sehr viel Engagement und Kraft brauchen. Es ist schon eine sehr intensive Arbeit und vor allem muss man sich immer wieder neu erfinden. Man muss sehr neugierig sein und die Bedürfnisse der Zeit erkennen. Wichtig ist aber auch, dass man Dinge tut, die man nicht nur für richtig hält, sondern die einem auch noch Spaß machen. Die Zukunft ist für uns keine – wie man in Wien sagt – „g’mahde Wies’n“, aber ich glaube, dass in einer immer komplexer werdenden Welt und immer abgehobener werdenden Gesellschaft das traditionelle Handwerk weitaus mehr ist als nur ein kurzlebiger Trend. Das Verlangen nach Ehrlichem, nach Geerdetem wird immer wichtiger.

Johannes, Andreas und Leonid Rath (von links nach rechts) lenken die Geschicke von J. & L. Lobmeyr in sechster Generation. Foto: Matthias Rücker

 

Der 47-jährige Wiener hat eine HTL für Silikattechnik absolviert und danach Wirtschaft studiert. Nach drei Jahren im Marketing der Tiroler Hightech-Firma Plansee übernahm Leonid Rath im Jahr 2000 – in sechster Generation und gemeinsam mit seinen Cousins Andreas und Johannes – den ehemaligen k.u.k. Hoflieferanten, die Glas- und Lustermanufaktur J. & L. Lobmeyr , wo er unter anderem fürs Marketing sowie  Produktentwicklung, Produktion und Vertrieb der Glasmarke verantwortlich ist.

Weitere Infos: www.lobmeyr.at
www.meisterstrasse.com/de/glas-beleuchtung-lobmeyr

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